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Die drei Dimensionen des Kundenwert oder: Warum zu einfach einfach falsch ist!

Wenn man sich einmal ökonomisch überlegt, auf welche Kunden man sich fokussieren will, kommt man als Manager schnell ins Grübeln: „Wir müssen wissen, wer unsere besten Kunden sind!“, höre ich häufig in der Praxis. Und wenn ich dann etwas gewollt naiv nachfrage: „Spannend. Warum das denn?“, wird mir beschieden: „Um sie an uns zu binden!“

play-stone-1744790-1920 Foto:Alexas_Fotos, PIXABAY - Figuren als Darstellung unterschiedlicher Kundenwerte

Um zu beurteilen, ob das nun die richtige oder eine etwas zu einfache Strategie ist, frage ich nach, wie denn dieser Kundenwert berechnet wird. Meistens kommt dann so etwas heraus, wie „Kundendeckungsbeitrag“ . Hübsch. Das erinnert an ein schönes Projekt der größten deutschen Bank (ich darf sie nicht nennen, deswegen nenne ich sie hier nur „größte deutsche Bank“, gdB). Hier berechnete man kurz vor der Jahrtausendwende den Kundendeckungsbeitrag aller Privatkunden . Dabei stellte sich heraus, dass circa 60 Prozent aller Kunden einen negativen Deckungsbeitrag hatten. Der Deckungsbeitrag weiterer 20 Prozent der Kundschaft streute um den Break Even (also +/- 0), lediglich 20 Prozent waren Profitgeneratoren. Daraus resultierte eine einfache Strategie: Die weniger profitablen Kunden wurden in eine neue Gesellschaft (nennen wir sie gdB 24) überführt, um hier gezielt weniger Leistungen zu erhalten. Aber: Keiner hatte untersucht, wer von diesen Kunden denn zukünftig profitabel sein würde.

Die +/- 0-Kunden wurden mit Produktvorschlägen der Bank eingedeckt, um sie „in den Profitabilitätszustand“ zu überführen. Aber: Niemand hatte analysiert, welcher Kunde denn für welches Produkt ein Bedürfnis entwickelt hatte oder bereits kaufbereit war. Und nun zurück zu den Profitgeneratoren: den BESTEN Kunden der gdB. Hier lautete die Strategie, die Kunden gezielt zu binden. Aber: Niemand hatte geprüft, welche der Kunden bereits emotional an die gdB gebunden waren. Das ist etwa so clever wie eine Beziehung, die fantastisch läuft, immerzu in Frage zu stellen und ständig nachzufragen, ob denn alles recht sei. 

a) benötigt eine solche Maßnahme Ressourcen, die die Profitabilität der Beziehung belasten und 
b) nervt sie das Gegenüber, bei dem alles ok ist, kolossal.

Der 2016 verstorbene italienische Semiotiker und Autor Umberto Eco hat das mal auf den Punkt gebracht: „Es gibt für alles eine einfache Lösung. Nur ist sie meistens falsch.“ Auf der anderen Seite sind wir auch in heutigen Zeiten darauf angewiesen, Komplexität in unseren Analysen zu reduzieren, um das Kundenbeziehungsmanagement steuerbar zu machen.

Es gilt also bei der Frage nach der Bewertung einer Kundenbeziehung gewisse Kernfragen zu beantworten: Was will ich mit diesem Instrument eigentlich erreichen? Und wenn die Antwort lautet: „Ich möchte meine Ressourcen in Marketing, Vertrieb und Service sinnvoll auf die richtigen Kunden ausrichten“, bleiben mir wenige Möglichkeiten, denn viele Instrumente der Kundenwertberechnung ergeben als Ergebnis einen monetären Wert des Kunden, also eine ZAHL. Damit kann zwar der Controller etwas anfangen, aber es ergeben sich häufig wenig konkrete Maßnahmen zur Steigerung des Kundenwerts aus der Analyse. 

Wie kann man den Kundenwert überhaupt sinnvoll steigern?

  • A) Ich bringe bestehende Kunden dazu, zusätzliche oder höherwertige Produkte zu kaufen (Potenzial).
  • B) Ich bringe bestehende Kunden dazu, ihre Serviceverträge zu verlängern beziehungsweise die bestehenden Produkte erneut zu kaufen beziehungsweise nicht bei der Konkurrenz zu kaufen.
  • C) Ich trenne mich von Kunden, die heute nicht profitabel sind und morgen nicht profitabel sein werden.

Zu diesen drei Dimensionen gilt es nun aus der Kundendatenbank Indikatoren zu finden. Doch wie kann man diese gescheit zusammenstellen? Auf diese Frage hat beispielsweise der deutsche Forscher Thorsten Hennig-Thurau eine Antwort gegeben: Er empfiehlt den Kundenwert nach drei voneinander unabhängigen Dimensionen in einem Kundenwertportfolio darzustellen.

Dabei bieten sich die Dimensionen „Kundenwert bis heute“, „Zukunfts-Potenzial“ und „Abgangswahrscheinlichkeit“ beziehungsweise mit umgekehrtem Vorzeichen die „Loyalität“ des Kunden an. Dabei hat lediglich die erste Dimension monetären Charakter. Bei der zweiten und dritten „Potential“ und „Loyalität“ muß das Unternehmen aufgrund der relevanten Informationen aus der Kundendatenbank clevere Prognosen machen. Beispiel gefällig? Das Auslaufen von Verträgen oder der Wunsch nach Preisverhandlungen kann für eine erhöhte Abgangswahrscheinlichkeit sprechen, das Wachstum der Bilanz oder die Mitarbeiterzahl des Unternehmenskunden im BtoB für Potential.

Und wenn Sie zu jeder dieser Dimensionen solche Annahmen auch belegen können, dann klappt es auch mit der Ableitung wertsteigernder Maßnahmen in Marketing, Vertrieb und Service.

Zum Weiterlesen: Hennig-Thurau, Thorsten: Die Klassifikation von Geschäftsbeziehungen mittels Kundenportfolios. In: Payne, Adrian; Rapp, Reinhold (Hrsg.): Handbuch Relationship Marketing, Verlag Vahlen, 1999.

Was lernen wir daraus?

Die Kalkulation des Wertbeitrags des Kunden kann schnell eine furchtbar theoretische Sache werden. Gerade wenn eine unpassende Methodik angewendet wird, kann nicht beurteilt werden, was mit dem Kunden zu tun ist. Nehmen wir nur einmal die Kapitalwertmethodik, mit deren Hilfe man anhand prognostizierter Einzahlungen und Auszahlungen des Kunden einen Lebenszeitwert errechnen kann. Kernkritik an einer solchen Methodik ist die Art des Ergebnisses. Man erhält einen Customer Lifetime Value in Euro und Cent. Mal ehrlich: Was hilft das denn unserer Organisation dabei, unterschiedliche Kunden unterschiedlich zu behandeln? Oder wie würden Sie Kunden über die nächsten fünf Jahre anders betreuen, wenn der eine einen konsolidierten Lebenszeitwert von 132.561,21 Euro hat, der andere aber nur einen Wert von 131.981.10 Euro? Wichtig ist, dass alle Mitarbeiter im Kundenkontakt etwas mit dem Wert des Kunden „anfangen“ und diesen Wert zum Wohle des Unternehmens steigern können.